Unser Autor Max Melzer ist Oberlausitzer und hat an der Hochschule Zittau/Görlitz Tschechisch studiert. In dem Beitrag schildert er uns seine Erfahrungen und Gedanken zum Sprachmitteln im deutsch-tschechischen Grenzraum und stellt er ein tolles Projekt des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds vor. Dabei geht es auch um den Zwiespalt in seiner Rolle als Sprachmittler.
Dafür habe ich das doch gelernt!
Was professionelle Dolmetscher*innen und Übersetzer*innen in der Regel eint, ist die Tatsache, dass sie ihre Sprache(n) und somit ihr Handwerk intensiv studiert oder in zahlreichen Kursen oder Ausbildungen erlernt haben. Folglich sind wir (das nutze ich hier mal generisch) unseren Sprachen gegenüber oft sehr feinfühlig, versuchen selbst so sorgsam mit ihnen umzugehen wie mit unseren liebsten Mitmenschen, versuchen, ihre grammatischen Regeln so fehlerfrei es geht einzuhalten, lexikalisch immer adäquat zu agieren und uns auch stilistisch so auszudrücken, dass es uns und den Adressat*innen der jeweiligen Kommunikation auch wirklich Spaß macht.
Viele Spracharbeitende werden aber die Situation kennen, dass man sich häufig einmal zurücknehmen muss beim Versuch, zu sehr in das Gesagte oder Geschriebene einzugreifen und diese mit der eigenen sprachlichen Kreativität und gleichzeitigen Korrektheit auszuschmücken. Einerseits verfälscht ein solches Eingreifen zu oft das, was eigentlich kommuniziert wurde – andererseits habe ich aber auch die Erfahrung gemacht, dass in bestimmten Situationen das Nichteingreifen oder lediglich eine kleine Hilfestellung schon besser zum Gelingen interkultureller Kommunikation beitragen können, als wenn man den Kommunizierenden die gesamte sprachliche Interaktion abnimmt. Wo ich diese Erfahrungen gemacht habe?
Ein Jahr als Grenzgänger
Von Sommer zu Sommer 2022 bis 2023, habe ich im Rahmen des vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds geförderten Projekts „Ein Jahr an der Grenze“ gearbeitet, in dem 8 Menschen in 8 Regionen entlang der gesamten deutsch-tschechischen Grenze „auf Tour“ gegangen sind und neue grenzüberschreitende Partnerschaften von Vereinen, Einrichtungen und Gruppen verschiedenster Fasson initiiert haben. Dabei war ich als gebürtiger Oberlausitzer auch für den deutsch-tschechischen Teil unseres Dreiländerecks, die Region Oberlausitz/Liberecko, zuständig. Um zu verstehen, wie das Projekt aussieht, hier mal ein Fallbeispiel:
- Sportverein (oder anderweitiger Akteur) A wird von mir angefragt, ob Interesse an einer deutsch-tschechischen Partnerschaft besteht.
- A sagt, ja, es gab schon lange Interesse, aber wir kennen uns auf der anderen Seite der Grenze nicht aus und sprechen die Sprache nicht.
- In der Folge mache ich mich mit dem Wissen, was sich A von einer Kooperation erhofft, im Nachbargrenzland auf die Suche nach potenziellen Partnerakteuren und treffe dort hoffentlich auf Sportverein B, der ebenfalls noch unerfüllte Kooperationswünsche hat.
- Dann vereinbare ich gemeinsame Treffen und versuche diese so weit zu begleiten, dass erste gemeinsame Aktivitäten im Schnittmengenthema entstehen und dass die Kommunikation beider Seiten soweit steht und aus sich selbst heraus funktioniert, dass ich nicht mehr unterstützend zur Seite stehen muss – und mich einfach an den neuen Aktivitäten erfreuen kann.
Im Laufe „meines“ Jahres sind so zum Beispiel gemeinsame Trainings von Schachsportvereinen, eine Weihnachtsfeier eines deutschen und eines tschechischen Jugendclubs sowie ein gemeinsamer Themen- und Kinoabend zweier Vereine entstanden, die sich in der Mädchen- und Frauenarbeit engagieren.
Hauptziel – Sprachbarrieren senken
Mir ist schon bewusst, dass dieser Kontext ein etwas anderer, ungezwungenerer ist, als ihn die professionelle Welt der Sprachmittlung in der Regel antrifft. Schließlich erscheint das Gelingen bei grenzüberschreitenden Begegnungen im Zivilen zunächst nicht so wichtig, denn es geht weder um die Gefährdung von Menschenleben durch eine fehlerhafte technische Dokumentation noch um sensible Formulierungsfehler bei der Verdolmetschung diplomatischer Reden.
Und doch ist sie nicht unwichtig, schließlich geht es im Grenzgebiet (und im Dreiländereck umso mehr) ja darum, dass sich die Menschen auf einer täglichen und vor allem unkomplizierten Basis begegnen können. Und da der Hauptgrund, warum Menschen im Grenzgebiet noch immer nur selten Kontakte zu ihren Nachbarn haben, weiterhin der zu hohe Respekt vor einer potenziellen Sprachbarriere ist, würde eine ständige Zuhilfenahme von Dolmetschenden (bzw. fallbezogen Übersetzenden) diesen Respekt nur vergrößern. Denn das verstärkt eher noch das Gefühl, man müsse die Nachbarsprache schon mindestens fünf Jahre studiert haben, um plakativ geschrieben einfach nur nach dem Weg zum Bahnhof fragen zu können. Wenn man aber möchte, dass Europa direkt an den Grenzen zusammenwächst, sollte man bei solchen Begegnungen als Sprachmittler*in eher eine Hilfe zur Selbsthilfe bieten und Anlaufstütze für die Kommunikation sein. Und in der Folge macht der besser und besser gelingende Austausch mit Händen und Füßen und die ersten erfolgreich gewechselten Wortfetzen erst wirklich Spaß und kurbelt die grenzüberschreitende Verständigung so richtig an.
Deutsch-tschechisch am stärksten unterwegs
Ich möchte noch eine kleine Anekdote aus dem Jahr an der Grenze beschreiben: Zu Beginn des Projekts unterstützte ich eine Begegnung zweier Grundschulen aus dem deutschen und tschechischen Teil der Lausitz als Sprachanimateur. Über den Tag wurden die Kinder in gemischte Gruppen aufgeteilt, lösten dann (moderiert von uns „Animateuren“) sprachbezogene Spiele und konnten im Anschluss noch ihre Teamfähigkeit bei einer Dorfrallye unter Beweis stellen und sich mit den anderen Gruppen messen. In meiner Kleingruppe unterstützten mich eine tschechische Lehrerin sowie der mitgereiste Vater eines deutschen Schülers.
Für die Dorfrallye im Anschluss an die Sprachanimation musste die Gruppe allerdings aufgeteilt werden, sodass am Ende ich mit einer Hälfte und die anderen beiden mit der zweiten Hälfte unserer deutsch-tschechischen Kleingruppe unterwegs waren, um beide Sprachen abdecken zu können. Da bei der Lehrerin und dem Vater aber eine gemeinsame Mittlersprache fehlte, wusste bei den beiden keiner so richtig, wie das überhaupt funktionieren soll. Dass ihre Gruppe dann eine der besten von insgesamt 12 Gruppen war und bei den einzelnen Aufgabenstationen fast doppelt so viele Punkte wie meine Gruppe sammeln konnte, zeigt, dass Sprache nicht alles ist. Zurück auf dem Schulhof freute sich die Gruppe über das gute Ergebnis, die tschechische Lehrerin, der deutsche Vater und die deutsch-tschechische Schülergruppe klatschen sich ab. Von ihnen hätte wahrscheinlich noch am Morgen keiner gedacht, dass sie Teil einer so gelungenen deutsch-tschechischen Teamarbeit werden können.
Falls ihr jetzt beim Projekt „Ein Jahr an der Grenze“ hellhörig geworden seid und mehr erfahren wollt, könnt ihr euch in dem hier verlinkten Blog über die Arbeit und Erfahrungen der deutsch-tschechischen Enthusiast*innen belesen (und sie bei Ideen oder interessierten Kontakten natürlich auch super gerne direkt anschreiben 😊).
MAX MELZER
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